Die Existenzgründer-Debatte
Auf der Website deutsche-startups.de findet man einen Artikel mit der markanten Überschrift „Darum gehört der Begriff Existenzgründer beerdigt“. In einem Tweet des gleichen Unternehmens heißt es zudem (und der Geschäftsführer des Deutschen Franchise-Verbands, Torben L. Brodersen widersprach hier vehement):
Sven Ripsas beerdigt in seiner Keynote auf der @IFA_Berlin den Begriff „Existenzgründer„. Das unterstützen wir! pic.twitter.com/bLazXGb7XC
— deutschestartups.org (@StartupVerband) 9. September 2014
Der Streit um den Begriff „Existenzgründer“
Der ganze folgende Aufruhr basiert auf einem sehr wissenschaftlichen, abstrakten Ansatz von Sven Ripsas, Professor für Entrepreneurship an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin), der auf deutsche-startups.de so wiedergegeben wird:
“Der Begriff Existenzgründer stammt nicht aus der Wirtschaftswissenschaft. Ich habe mich schon 1997 in meiner Dissertation gefragt ‘Was ist denn eine Existenz?’ und ‘Wie gründet man sie?’. Ökonomen unterscheiden zwischen der Gründung eines Unternehmens, freiberuflicher Selbstständigkeit und dem Handeln als Einzelkaufmann. Der Begriff Existenzgründer hingegen entstand, als Sozialpolitiker in den 70er bzw. 80er Jahren des 20. Jahrhunderts versuchten, Arbeitslose aus der Statistik zu bekommen. Mit Existenzgründung verbunden ist der Versuch, das verloren gegangene Gehalt durch eine neue Form des Einkommens zu ersetzen. Das Schaffen von Arbeitsplätzen und neuem volkswirtschaftlichen Wohlstand aber verlangt Innovation und Wachstum”.
Reaktionen auf die Diskussion um den Begriff
Reaktionen auf Artikel und Tweet ließen natürlich nicht lange auf sich warten. Schließlich könnte sich hier die gesamte Existenzgründungsbranche auf den Schlips getreten fühlen – oder schlimmer. Erwähnenswert ist der Beitrag von Jens Tönnesmann im Blog der WirtschaftsWoche „Warum wir Existenzgründer brauchen“. Der Autor war auch in der anschließenden Diskussion, die sich zu großen Teilen auf Twitter abspielte, aktiv und sein Beitrag ebenfalls Gegenstand der Tweets. Tönnesmann argumentiert in seinem Artikel, dass die Aussage Ripsas‘ (insbesondere die letzten beiden Sätze) der eigentliche Stein des Anstoßes ist. Denn wenn nur besonders innovative und schnell wachsende Startups gelobt, gefördert und als Unternehmensgründung gerechtfertigt angesehen werden, dann werden klassische Existenzgründer (wie sie häufig auch Franchise-Nehmer sind) automatisch deklassiert. Es dauerte nicht lange bis sich dann Florian Nöll, Vorsitzender des Bundesverbands Deutsche Startups, zu Wort meldete und in der Diskussion ein Missverständnis behauptete. Denn man habe durch die Forderung, das Wort Existenzgründer abzuschaffen, Gutes bezwecken wollen:
@JensTExistenzgründer= Gründer. Startup-Gründer = Gründer. Wir schaffen keine zweite Klasse, wir wollen sie abschaffen! — Florian Noell (@floriannoell) 24. September 2014
„Existenzgründer“ als Begriff für Unternehmer und eine wirtschaftliche Branche
Zum einen findet also eine sachliche Diskussion um den Begriff “Existenzgründer” statt, wie sie Ripsas angeregt hat. Es wird dabei jedoch nicht ausreichend beachtet, wie stark sich das Wort etabliert hat. Nicht nur einzelne Unternehmer fühlen sich durch diese Bezeichnung angesprochen, sondern auch eine ganze wirtschaftliche Branche. Ripsas Statement enthält meiner Ansicht nach durchaus die negative Konnotation, dass Existenzgründungen im klassischen Sinn weniger wertvoll für unsere Gesellschaft seien. Insofern ist die Empörung einzelner Vertreter der „Branche Existenzgründung“ durchaus nachvollziehbar. Denn was ist die Konsequenz dieser Annahme? Dass man klassische Existenzgründungen weniger oder gar nicht fördern sollte?
Nöll meint darüber hinaus, dass Existenzgründungen aus der Not heraus, ohnehin gar keine Rolle mehr spielen:
@JensT Das ist doch gar keine Frage. Aber niemand muss (in Deutschland) gründen, um seine Existenz (sein Dasein) zu sichern.
— Florian Noell (@floriannoell) 24. September 2014
Aus dem Gründungsmonitor 2014 der KfW-Bankengruppe geht hervor, dass „etwa jeder vierte Gründer 2013 zuvor weder erwerbstätig noch arbeitslos“ war. Zudem sollte man die Studien bedenken, die belegen, dass vor allem Menschen mit Migrationshintergrund oftmals wenig Alternativen zu einer klassischen Existenzgründung sehen. Vor diesem Hintergrund ist die Aussage Nölls in Frage zu stellen, wenngleich mit Gründungen aus der Not heraus auch nicht alle Existenzgründungen gemeint sein können.
Was meinen Sie? Gehört der Begriff „Existenzgründer“ abgeschafft? Und wenn ja, warum? Oder hat der Begriff seine Berechtigung und führt diese Diskussion weg von anderen Problemen? Diskutieren Sie mit!
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